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Markt in Cusco.

Bevor wir Cusco, den „Nabel der Welt“, wie die Inkas ihr Stadt nannten, wieder verlassen schlendern wir ohne konkretes Ziel in der Altstadt umher. Die riesigen Markthallen sind voller Leben, die Gassen historisch und hinter jeder Ecke gibt es etwas spannendes zu entdecken. Wir beobachten die Touristenmassen, welche scheinbar planlos und willenlos einem „Fähnchenträger“ hinterherlaufen, Gott sei Dank sind wir frei und unabhängig. Überall werden tolle Souvenirs angeboten, allerdings überlegt man sich als Radler jedes Gramm an Zusatzgewicht zweimal und widersteht den netten Marktfrauen souverän.

Bevor wir uns zum „Lago de Titicaca“ aufmachen, werden die Räder noch mit, dringend benötigten, neuen Hinterbremsen ausgestattet und die Beine mit einer, sehr schmerzhaften, Massage wieder fit gemacht.

Von Cusco bis an den Titikakasee fahren wir auf einer Hochebene, dem Altiplano, und bewegen uns konstant zwischen 3400 und 4300m, nachts fällt das Thermometer bis weit unter Null und tagsüber holen wir uns einen Sonnenbrand bei gut 30 Grad, die Temperaturunterschiede sind wirklich krass und ein ständiges an- und ausziehen der Kleidung ist die Folge.

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Ruinen von Raqchi auf dem Weg zum Pass “La Raja”.

Auf dem Weg, wir fahren den Highway 3S entlang des Rio Vilcanota, besuchen wir eine der ältesten Kirchen Südamerikas, welche durch ihre beeindruckenden Fresken auch die „Sixtinische Kapelle“ Südamerikas genannt wird, auch die zahlreichen Ruinen kommen neben der einzigartigen Natur nicht zu kurz und werden besichtigt. Wir fahren an riesigen Lama- und Alpakaherden vorbei, heisse Thermalquellen laden zum Entspannen ein, wir beobachten Viehhandel auf den Märkten und werden selber von vielen neugierigen Augen beobachtet oder um ein gemeinsames Erinnerungsfoto gebeten. Die Strecke gleicht einem riesigem antikem Freilichtmuseum, als Radler kommen wir an Orte wo der „normale Tourist“ mit dem Bus gar nicht hält, überall treffen wir auf freundliche und hilfsbereite Menschen und eine herzliche, ehrliche Kultur.

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Harte Feldarbeit mit einfachsten Mitteln.

In den Medien werden viele Länder und Kulturen oft wesentlich schlechter dargestellt als sie in Wirklichkeit sind, mit dieser Reise entgegnen wir diesen Vorurteilen, machen unsere eigene Erfahrung und uns ein eigenes Bild. Wir geben den, vorher eher grauen Ländernamen und unbekannten Orten, einen bunten, lebensfrohen eigenen Anstrich, die meisten Länder sind besser als ihr Ruf. Die einfache Bergbevölkerung arbeitet täglich, mit antiken Geräten, hart auf ihren Feldern und dies ein ganzes Leben bis der Körper nicht mehr mitspielt. Es soll Menschen in Deutschland geben welche sich über unser Gesundheits- und Sozialsystem, die wöchentliche Arbeitsstunden oder die staatlicher Unterstützung beschweren? Hier unvorstellbar!

In Peru sind bald Wahlen, überall im Land werden Hauswände, Straßen, Felsen und andere Flächen mit den Slogans der Parteien bemalt, egal wo du bist, ob in der Pampa oder in der Großstadt, keine Fläche wird ausgelassen und bunt bemalt.

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Fast an jeder freien Fläche ist Wahlwerbung angebracht.

Da die einfachen Unterkünfte in Peru mit 2-4€ p.P./Nacht recht kostengünstig sind, ersetzen diese öfters das Zelten, der ärmeren Landbevölkerung tut der Zusatzverdienst gut und uns nicht weh und so kommen wir in  intensiven Kontakt mit unseren Gastgebern und der peruanischen Kultur. Inzwischen haben wir die peruanischen Delikatessen intensiv getestet vom Lama-Geschnetzelten über Alpaka-Spieße bis hin zu Meerschweinchen haben wir inzwischen einiges an Leckereien auf den Tisch bekommen und haben die leckere peruanische Küche ausgiebig getestet.

Der „Abra la Raya“ ist mit 4335m unser bislang höchster Pass und gleichzeitig die Wasserscheide zwischen Atlantik und Pazifik. Die Luft ist dünn und unsere Lungen pfeifen vor sich hin und das Herz arbeitet auf Hochtouren, inzwischen hat sich auch Sandro gut akklimatisiert und wir erreichen auf der gutbefahrbaren 3S den legendären Titikakasee.

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Die Luft wird dünner, wir sind auf 4335 Metern.
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Traumhafter Ausblick über den Titikakasee.

Jedes Kind kennt den höchsten beschiffbaren See der Welt, 13 x größer wie der Bodensee und auf 3808m gelegen, jetzt stehen wir mit unseren Rädern am Ufer, ein Traum geht in Erfüllung. Wir strampeln an der Küste entlang und geniessen den Blick auf den See, im Hintergrund stehen die schneebedeckten Berge der bolivianischen Anden bereit und geben unseren Fotos den letzten Touch. Die letzte Nacht schlafen wir, bei der circa 70jährigen Elba, in ihrem kolonialem Stall(!). Elba ist, laut eigener Aussage, die Enkelin des ehemaligen peruanischen Präsidenten Valentin Paniagua, nach 37 Tagen ein würdiger Abschied aus Peru. Würde jetzt noch Maria und Josef auf einem Esel vorbeireiten, wir würden es auch noch glauben, die Gegend und die einfachen Hütten haben sich die letzten 2016 Jahre wohl nicht arg verändert.

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4 Radler. Wir treffen Walt, er ist uns schon in Kanada mit seinem Rad begegnet ist.

Es geht ruck-zuck und schon haben wir den bolivianischen Stempel im Pass und betreten Land Nr. 20, im Grenzort Copacapana machen wir halt und haben einen gigantischen Sonnenuntergang am See. Dort treffen wir auch den fahrradverrückten Holländer Wolt wieder, Wolt haben wir bereits in Kanada kennengelernt und tauschen uns über Strecke und Erfahrungen aus, die Welt von weltreisenden Radlern ist klein aber fein.

Die bolivianische Seite der Titikakasees gefällt uns definitiv besser wie die peruanische, für ca. 20km fahren wir auf einer Anhöhe, unter uns glitzert der See und dahinter reihen sich die Berge der Gebirgskette „Cordillera Real“ und „Cordillera Munecas“ der Ausblick könnte auf jeder Postkarte sein und das Wetter spielt voll  mit.

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Die “Cordillera Real”, Bergspitzen mit mehr als 6000 Metern.

Die Straßen ziehen sich wie Adern, wie ein Spinnennetz, über unseren Globus, kaum zu glauben, dass wir seit Alaska einem gigantischem Straßennetz folgen, welches uns, bis auf eine Ausnahme zwischen Panama und Kolumbien, bis nach Bolivien geführt hat. Weiter geht es jedenfalls in diesem Netz auf dem Highway 2 bis nach La Paz, wo wir genau 13 Monate nach unserm Start in München Station machen. Zwischen 3600 – 4200m Höhe erstreckt sich die Millionenstadt La Paz, wieder schlendern wir durch die Gassen und beobachten das Leben in den Gassen und auf den Plätzen der Altstadt.

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Wo geht es lang? Schwierig zu verstehen.

72km hinter der Stadt machen wir, auf dem Bolivia1, unsere 23.000km voll und rollen durch die Pampa Boliviens auf der Suche nach dem grösstem Salzsee bzw. der größten Salzwüste der Welt dem „Salar de Uyuni“! Es ist brutal kalt, in der Früh starten wir oft mit Minusgraden und die Zehen und Finger sind taub vor Kälte, der Wind ist eine Wundertüte und wechselt ständig seine Richtung.

Inzwischen lachen uns die Menschen nicht mehr aus , wen wir unser Endziel Rio und damit die Olympischen Spiele 2016 nennen. In den USA, Kanada und weiten Teilen Mittelamerikas ernteten wir nur Kopfschütteln und wurden für verrückt erklärt. Jetzt liegt Brasilen ums Eck, für die Menschen hier ist dies anscheinend normal, das man nach Rio radelt, wir sind dem Ziel also sehr nahe!

Durch die klirrende Kälte liegen wir oft schon um 18Uhr in unseren Schlafsäcken und kriechen erst nach 12 Stunden raus, springen auf die Räder und kämpfen gegen die Kälte an, über 3 Wochen sind wir bereits auf knapp 4000m, viel Sauerstoff sollten wir inzwischen im Blut haben und in tieferen Gebieten müssten wir wie Raketen abgehen. Ist eine aktive Olympiateilnahme doch noch möglich?

Frustrationstoleranz, Selbstbeherrschung und Respekt scheinen in manchen Situationen ein Fremdwort zu sein, ob es an der Höhenluft liegt, an der Kälte oder an der Anstrengung, manchmal liegen die Nerven blank und es kommt zu unkontrollierten Wortgefechten, so machen wir uns den Weg selber schwer. Trotzdem setzen wir unsere Suche nach dem Salzsee unbeirrt fort, es gibt kaum Einkaufsmöglichkeiten und auch die Unterkünfte sind in Bolivien weit verstreut, und primitiv. Das bettelarme Bolivien hat ein massives Wasserproblem, geduscht wir mit eiskaltem Wasser aus dem Brunnen, bei Temperaturen um den Gefrierpunkt und Frost ein eisiges Vergnügen. Sandro befürchtet gar seinen ersten Herzinfarkt und das mit jungen 32 Jahren.

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Vicuñas kreuzen die Strasse. Sie tragen das teuerste Fell der Welt.

Auf der Straße liegen unzählige überfahrene Hunde, die Flamingos, Emus, Lamas und Alpakas sind da eine wesentlich erfreulicherer Anblick und stehen Fotomotiv für uns in der kargen Steinlandschaft. Auch Vicuñas kreuzen unseren Weg, diese Tiere sehen aus wie Lamas, stehen unter Naturschutz und aus ihrer Wolle wird der teuerste Textilfaden der Welt gewonnen.  Die farblosen verlassenen öden Dörfer durch welche wir jetzt fahren erinnern an eine in die Jahre gekommen Westernstadt, nur das hier die Häuser aus Lehm oder Salzstein sind und die Menschen dick eingepackt in bunte Tücher sind.

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Julian auf dem “Cementerio de los trenes”, Zugfriedhof, in Uyuni.

Wir verlassen den Bolivia 1 und radeln einsam auf dem Highway 30 weiter und plötzlich liegt er vor uns der größte Salzsee der Welt! Weiss wird die beherrschende Farbe der nächsten Tage sein, Salz das beherrschende Element und Ruhe und Einsamkeit unser Begleiter. Die erste Nacht verbringen wir in einem Salzhotel am Rande des Sees, dort füllen wir unsere Vorräte auf und besuchen den „Cementerio de los trenes“, einen beeindruckenden Friedhof für ausrangierte Lokomotiven.

Die Einheimischen warnen uns vor dem unberechenbaren Wind auf dem „Salar de Uyuni“ und den derben Minusgraden in der Nacht, erst vor 2 Jahren sind 2 Radler in ihrem Zelt erfroren, ein furchtbares Schicksal. Warnung gehört, Warnung verstanden, am nächsten Tag beginnt bei -8 Grad unsere Expedition „Salzsee“!

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Salz soweit das Auge reicht. Nico folgt dem GPS.

Salz so weit das Auge blicken kann, keine Anhaltspunkte in der weissen Wüste, es ist eine faszinierender Ausflug. Wir vertrauen dem GPS, unseren Tachos, unserem Instinkt und nehmen die groben Berge in der Ferne zur Orientierung. Es ist a….kalt, trotzdem verbrennt die Höhensonne unser Gesicht, der Kontrast zwischen weissem Untergrund und blauem Himmel ist umwerfend, es entstehen viele tolle Bilder in dem wir mit der Perspektive spielen.

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Sandro balanciert auf seiner Gabel. Ein Ausgleich zum vielen Radfahren.

Nach circa 75km auf Salz erreichen wir die “Isla Inca Huasi”, dort verbringen wir eine Nacht in einer einfachen Schutzhütte, Sonnenuntergang und sternenklarer und daher äussert kalter Nachthimmel inklusive. Diese Insel ist eigentlich ein Vulkankrater in mitten des Salzsees ist ein unglaublicher Mikrokosmos, gigantische Kakteen wachsen hier in dieser lebensfeindlichen Umgebung auf 3650m, wir staunen nicht schlecht.

Am Tag 2 haben wir anfangs Rückenwind und sind daher schnell auf der anderen Seite des Sees angelangt, danach wir es furchtbar zäh und unangenehm. Hier und da überholen uns dämlich grinsende Touristen in ihren Jeeps samt Fahren und machen Fotos, wir fühlen uns wie Affen im Zoo. Aber immerhin geniessen wir die totale Freiheit und müssen uns nicht an einen Terminplan einer Agentur halten, sondern können nach Lust und Laune tun und machen was auch immer uns gerade in den Sinn kommt, ätsch!!

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Sandsturm auf dem Weg zur chilenischen Grenze. Extremer Gegenwind.

Die Strecke bis an die Grenze zu Chile ist die Hölle. Sandpiste wechselt sich mit Schotterpiste ab, wir rutschen auf den losen Steinen hin und her, der Wind entwickelt sich zum Sturm und peitscht uns Kieselsteine und Staub ins Gesicht, es fühlt sich an wie tausend kleine Nadelstiche im sonnenverbrannten Gesicht. Sandro wird von einer Magen- Darmgrippe geplagt, was unser Unterfangen nicht einfacher macht. Mit 5-8 km/h schleichen wir die 95km bis zur Grenze Chiles, zwischendurch geraten wir in einen üblen Sandsturm und die Kräfte schwinden. Obwohl sich des Wetter und die Straßenverhältnisse gegen uns verschworen haben, setzten wir uns durch und erreichen mit der Dämmerung die chilenische Grenze. Die Zöllner durchsuchen unser Gepäck wie sie Drogendealer vermuten würden, nach dieser Prozedur ist es geschafft und wir fallen in Land 21 fix und fertig in die Federn.

Mit erreichen Chiles haben wir das nördlichste Land Nordamerikas die USA/Alaska und das südlichste Land Südamerikas miteinander verbunden, was für ein gigantisches Projekt, knapp 12 Monate und etwa 21.000 liegen zwischen den beiden Ländern.

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Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir Chile. Land Nr. 21.

Leider gibt es am Grenzort Ollagüe keinen Geldautomaten, der nächste ist 200km entfernt und unser Geld ist knapp bzw. aufgebraucht. Wir müssen also in den sauren Apfel beissen, den Ruhetag streichen und die Strecke ohne Pause angehen. Sandro gibt trotz Magenproblemen grünes Licht und will mitziehen. Der Wind bläst ohne Unterlass und die Strecke zeigt sich hügelig, kurvig und voller Schlaglöcher. Nach 25km ist bei Sandro Feierabend, es geht nicht weiter und wir sollen einen Transport organisieren. Kein Problem, Gesundheit geht vor, nur die Strecke ist kaum befahren und es ist ein ruhiger Sonntag. Wir haben denoch Glück im Unglück und Hugo kommt mit seinem Pritschenwagen vorbei, kurzerhand werden die Räder verladen und wir kommen in die  circa 175km entfernte Stadt Calama. Wir haben vollkommen richtig entschieden, die Strecke ist zwar schön, die Vulkane links und rechts des CH-21 stehen in Reih und Glied, aber es gibt keine Einkaufsmöglichkeiten, keine Unterkünfte und der Wind kommt, wie immer, stark von Vorne. In Calama gibt es Geld und einen Ruhetag, Zeit für uns die Homepage zu aktualisieren und für Sandro sich auszukurieren. Calama gleicht einem Kulturschock, waren wir vor 2 Tagen wirklich noch in der Wüste? Hier gibt es riesige Shoppingmalls und eine Überangebot an Unterkünften, Restaurants und allen erdenklichem Luxus. Auf diesen Schock holen wir erstmal eine italienische Salami und essen deutsches Vollkornbrot, ein Stück Heimat in der Ferne. Die Räder müssen entsalzt werden, die Klamotten stehen vor Dreck und nach 17 Tagen radeln am Stück freut sich der Körper über jede Minute Auszeit und Ruhe.

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Hugo nimmt uns per Anhalter mit. Die Gesundheit geht vor.

Heute haben wir Tag 407 und stehen bei 23726km. 407 Tage sind 9768 Stunden live Kino für unsere Sinne, unser Traum von Olympia kommt unaufhaltsam näher. 2 Monate haben wir noch Zeit um nach Rio zukommen, der Countdown läuft und wir biegen langsam ein auf die „vielleicht längste Zielgerade der Welt“, etwa 4000km to go. Tickets haben wir noch immer keine für die olympischen Veranstaltungen, aber vielleicht kann ja noch jemand Abhilfe schaffen, nur her mit den Kontakten!!!

Wir hoffen bei Euch ist es wärmer als hier und wünschen eine erfolgreiche, friedliche Fussball-EM für unsere Elf in Frankreich. Jetzt wartet die Atacama-Wüste auf uns und die Räder, diese Wüste ist die trockenste und höchstgelegenste Wüste der Welt, neue Abenteuer stehen also bereit für uns und die Räder. Den nächsten Bericht sollte es aus Argentinien geben, mit einem gutem argentinischen Steak im Magen schreibt es sich gleich viel besser, wir freuen uns jedenfalls auf die Gauchos.

Mit sportlichen Grüßen,

Julian, Nico und Sandro.

Weitere Bilder findest Du in unserer Galerie.

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Vielen Dank fürs Lesen des Blogs. Grüße aus Chile.